Teil 3: Zürich - Ötz

Nach einem Wochenende mit generell hemmungslos Herumlurchen in Zürich lag Österreich in seiner ganzen Länge vor mir.

Es ließ sich ja eh gemütlich an, wie es sich für einen Montagmorgen ziemt. An der Goldküste des Zürich-Sees entlang, ein paar Hügel im Kanton St. Gallen, nach Wildhaus hinauf und nach Liechtenstein hinunter, dort ein wenig in der Ebene herumgekurvt (wobei ich glücklicherweise eine dezente Nebenstrasse fand, so ein kleines Land, so viel Verkehr!), und wurde schließlich von den Zöllnern durchgewunken. Frechheit, da überquert man vier Mal eine Schengen-Grenze und darf seinen Pass kein einziges Mal herzeigen.

Oh Freude, wieder auf Heimatboden! Wenigstens war der Sprachschock nicht ganz so groß, ich fuhr zwar endlich wieder auf einem Radl statt auf dem Velo, aber generell verstand ich die Eingeborenen nur marginal besser als die Schweizer, und auf den Wegweisern standen seltsam klingende Ortsnamen. Mein Favorit wies zB nach Röns, Düns und Schnifis. Nach gut 130 km fand sich in Nüziders auch ein gemütlicher Gasthof. Irgendwie war der an Höhenmetern doch sehr arme Tag dann so unanstrengend, dass ich fix noch zu Fuss ein kleines Hügerl in der Umgebung erklomm. Der Wirt schaute trotzdem wie ein Uhu, als ich ihm locker-lässig erzählte, dass ich grad aus Zürich hergekommen war und eigentlich in Nizza und noch nach Wien und so weiter.

Meinen Übermut stutzte mir dann der nächste Tag. Zuerst fand ich wegen einer Umleitung nur auf Schwerverkehrsstrassen auf den Arlberg, wo dann auch allerhand los war. Bergauf ist viel Verkehr ja noch um ein Stück unangenehmer - die Tempodifferenz ist enorm. Ständig brausten Autos an mir vorbei, wenn mal eine Minute oder so nix war, lauschte ich schon nach dem Lastwagen, der die Partie etwas aufhielt. Ha, da war er dann auch, ich legte die Ohren an, damit sie mir der Sog nicht vom Kopf riss, wwwruuuum und dann vrm vrm vrm vrm die ganze Kolonne hinten nach. War doch glatt im unteren Teil die Schnellstrasse gesperrt, mein Pech. Aber alles hat ein Ende, auch Baustellen - bald konnten zumindest die Lastwägen wieder abbiegen, der Großteil der Urlauber zog die Passstrasse dem Tunnel vor. Wer kann’s ihnen verdenken? Ist ja sehr fein, und oben gibt’s noch dazu lecker Leberkäsesemmel - endgültig daheim angekommen, denke ich mir, während ich reinbeisse. Die ersten 40 km waren vorbei, ab jetzt nur noch bergab, dann noch ein kleiner Schupfer und in Ötz mein Haupt auf den Polster betten. Klingt ja leicht. Wie geplant bog ich in Landeck Richtung Reschenpass ab, ergänzte meinen Zuckerspiegel mit einem leckeren Eiskaffee in Prutz und machte mich auf den Anstieg auf die Piller Höhe.

Wer auf eine Karte blickt, wird entdecken, dass das ein kleiner Umweg ist. Wieder der bereits beschriebene Mechanismus: Daheim am Schreibtisch klickt man sich eine Route zusammen, sieht ein konturloses Höhenprofil, denkt sich: Ist ja öd, da gehört etwas Abwechslung in die Sache. Ausserdem schaut die gelbe Linie hier viel angenehmer zu fahren aus als die direkte rote dicke Linie. Und schon hat man sich die Piller Höhe eingebrockt. Am Papier ja harmlos. 7 km auf 1560 m Seehöhe, kann das einem Galibier-Veteranen auch nur ein einziges Schweißperlchen auf die Stirn treiben?

Als ich dann im unteren Teil auf die steile Strasse traf und der erste Schweißtropfen innerhalb von Minuten von einer guten Milliarde Kollegen umringt wurde, kam ich ins Rechnen. Moment, ich fahre von knapp 870 m los. 700 Höhenmeter. 7 km. 10 % Durchschnittliche Steigung. Und tatsächlich. Es ließ nicht nach. Wurde sogar noch steiler. Ich schnaufte, keuchte und ächzte im Schritttempo dahin. Die Sonne tat ihr bestes, um mich zu rösten. Aber lasst mich eins sagen: Es zahlt sich aus. Die Strasse ist ein Wahnsinn, die Aussicht über das Inntal ein Traum, und wenn man oben ist, wartet ein feines Lokal mit genialer Terrasse auf den durstigen Radfahrer. Und die Abfahrt ist sowieso der Hammer! Wer je in die Gegend kommt, unbedingt. Aber die Reservekniescheiben aus Titan nicht vergessen.

Nach Ötz war es dann relativ ereignisarm, abgesehen davon, dass ich von der Bundesstrasse auf einen kleinen Radweg direkt daneben flüchtete, der dann auf einmal zum Schotterpfad neben der Ache mutierte, ohne dass ich wieder auf sichere Asphalt-Gefilde hätte zurückkehren können. Etwas ärgerlich sowas, aber leider eher die Regel als die Ausnahme, und auch der Grund, warum ich am Rennrad lieber die Strasse verwende. Wie auch immer, in Ötz hatte ich voriges Jahr schon eine nette Pension gefunden, deswegen sprach ich auch heuer dort vor und wurde nicht nur mit an Euphorie grenzender Begeisterung aufgenommen, wieder mit einem luxuriösen Zimmer samt Balkon + Frühstücksbuffet ausgestattet, sondern bekam auch mein Radgewand gewaschen. Das nenne ich Service, durchaus 24 Euros wert.

Und während ich gerade den dritten Gang meines Abendessens verputzte, zog der Himmel zu. Schon wieder Regen - der dritte Eisenbahntag. Immerhin verhieß der Wetterbericht Besserung für den Nachmittag. Ich wälzte ein paar Karten und beschloss, aufs Kühtai zu verzichten und das ewig lange Inntal einfach auszulassen und erst in Wörgl wieder den Sattel zu erklimmen. Mein schlechtes Gewissen hält sich in Grenzen - Ist immerhin in der besten Tradition des Rennradelfahrens. Der Sieger der 1. Tour de France wurde 1904 bei seinem 2. Antritt disqualifiziert, weil er die langweiligeren Stücke mit dem Zug gefahren ist.

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