Teil 2: Brig - Andermatt

Nach der langen Zugfahrt am Genfer See entlang und durchs Rhone-Tal schlich ich etwas bedrückt in Brig herum, der Ausgangspunkt für den geplanten Ausflug ins sonnige Tessin. Erstens wirkte das Wetter auch weiterhin nicht so ermutigend, zweitens war ich natürlich etwas frustriert. Brig war zwar ganz nett, im Vergleich zu früheren Etappenorten auch mit einem geradezu berauschenden Überfluss an Gastronomie ausgestattet, aber es fehlte das zufriedene Gefühl der Müdigkeit in den Beinen und des Stolzes über einen geschafften langen Tag.

Die nächsten beiden Tage sollten mich dafür entschädigen – ich war nachher dem Regen wirklich dankbar, dass er mich aus Frankreich vertrieben hatte und ins Tessin gespült. Der Anfang war noch nicht so berauschend, der Simplonpass ist einer der am besten ausgebauten in der Schweiz, dementsprechend langweilig ist die Auffahrt, dementsprechend schnell sind Autos und Lastwägen. Dementsprechend schnell ging aber auch die Abfahrt auf der anderen Seite nach Italien runter – 80 km/h trotz Hasenfussmodus kein Problem! Immerhin gehen die ersten paar Kilometer auf einer alten Strasse, und die Ausblicke unterwegs auf die Gletscher rundherum sind natürlich grandios.

Im Val d’Ossola unten wärmte mich die Sonne von außen und ein Cappuccino von innen, bevor ich mich auf die schwierige und lange Auffahrt nach Santa Maria Maggiore mache. Immerhin war das wieder eine Strasse nach meinem Geschmack – schmal, kurvig, durch eine spektakuläre Schlucht durch. Oben nette Dörfer, dann geht’s fast noch aufregender wieder hinunter in die Schweiz und nach Locarno. Dieses Stück Strasse bitte nie ausbauen, zumindest nicht, so lange ich dort nicht wohne und jeden Tag hinter orgasmisch verzückten Radlern hinterherzuckeln muss.

Locarno sah auch fein aus, aber das Filmfestival schien in vollem Gang zu sein, also eher weiter. Einen Kaffee am Lago Maggiore ließ ich mir aber nicht entgehen. War sowieso erst 3, und kaum 120 km am Tacho. Den Seeradweg fand ich eher verzichtbar, wenn man was weiterbringen will, also vertraute ich mich wieder meinem GPS an, das sich im Radmodus auch redliche Mühe gibt, Nebenstrassen zu finden. Es dirigierte mich an Bellinzona vorbei ins Tal hinein, an die Füße dreier Pässe, wo ich die Nacht verbringen wollte. Aber Oh Schreck! Nur öde Schlafdörfer, wo’s nicht mal ein Geschäft gibt. „Bellinzona“, meinte eine Kellnerin einer Pizzeria auf meiner Frage nach Hotels. Naja, lieber 20 km weiter als 10 km zurück, dachte ich und machte mich auf nach Biasca, wo’s dann nicht nur ein nettes Hotel mit WLAN, sondern auch ein Kirchlein am Hügel gab, das sich als Ziel für einen Abendspaziergang anbot (ausgestattet mit dem besten, was die Bäckereivitrine hergab). Danach noch die letzten Magenlücken in einer Pizzeria füllen, denn morgen geht’s wieder in die Berge.

Aber welcher? Gotthard? Oder Nufenen gefolgt von Furkapass? Ich entschied mich für den kaum bekannten Lukmanierpass ins Graubünden, von wo es über den Oberalppass nach Andermatt weiterging. Welch ein Glücksgriff! Kaum Verkehr, angenehme Auffahrt ohne Steilrampen, einzig das Wetter ließ zu wünschen übrig. Ich fühlte mich fast ein wenig einsam und amüsierte mich mit Pfeifkonzerten in der Lawinengalerie, aber genau kam mir von oben ein Radler entgegen, der mich etwas entgeistert ansah.

Oben kugelten viele andere Radler herum, auch ein Schweizer, mit dem ich etwas plauderte, während ich mich mit Kracherl wieder stärkte. Die tolle Abfahrt, endlich wieder in der Sonne, wurde nur von einer Schafherde im Gegenverkehr unterbrochen. Auf der Weiterfahrt war ich dann eher vorsichtig – diverse Andenken lagen auf der Strasse herum. Auch kein schöner Nachruf: Hinterlassen wurde es vom Schaf/Und führte ihn, der’s traf/Über die Leitplanke in den ewigen Schlaf.

In Disentis (Graubünden) gab’s für mich kein Essen, weil Mittagspause für Geschäfter, nur Trockenfrüchte aus der Notration. Wer auch immer das G’schichtl in Umlauf gebracht hat, sowas wär perfektes Futter für Radler - vergiss’ es. Einem gewissen Rückstosseffekt nicht abträglich, aber ohne Apfelwähe (Lecker!) auf halbem Weg auf den Oberalppass hätte ich selbigen wohl nicht gepackt. Der ist übrigens auch sehr fein, vor allem auf der Andermatt-Seite hervorragende Ausblicke, und dass die Bahn da rauffährt ist auch sehr beeindruckend. Es war dann noch sehr früh, aber nach wieder einmal 2700 Höhenmetern wogen meine Beine mehrere hundert Kilo, und es wurde Zeit für ein Hotel, das sich auch rasch fand. Etwas entspannen, dann auf Futterjagd und etwas herumkugeln im Internetcafe mit leckeren Früchtecocktails und WLAN - endlich wieder die angenehme Müdigkeit, die einen das abendliche Entspannen wohlverdient und zufrieden geniessen lassen.

Leider war das gute Wetter nicht von Dauer - für den nächsten Tag wurden grauenhafte Regenfälle vorhergesagt. Was bedeutet, dachte ich seufzend, dass ich den ersten Teil mit einer Zugfahrt beenden werde - nix triumphaler Einzug in Zürich, wo mich L. für ein Wochenende beherbergen wollte.

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