Tour de France 2010 (Kurier)


ICH WAR OFFIZIELLER TDF-BLOGGER DES KURIERS! Unbezahlt und nur online, aber bitte.

00: Intro

Es ist wieder einmal soweit - vergiss Weihnachten, verschieb deinen Geburtstag, schlaf ein bei den Defensivtaktikstochereien der WM: Der Höhepunkt eines jeden Jahres ist fast da. Die Tour de France startet morgen in Rotterdam, und ich bin zwar nicht live dabei, aber immerhin darf ich hier mein täglich Quentchen Senf dazu abgeben. Diese Gelegenheit lockt jeden altgedienten Radblogger aus dem Ruhestand. Naja, und das Geld brauch ich auch: Wegen anhaltendem Sturzpech werde ich jetzt Stützräder auf alle meine Gefährte montieren, und das ist nicht billig: Vollgefedert fürs Mountainbike, aerodynamisch-verwindungssteif aus Carbon fürs Rennrad, stylish-vintage, Phil Wood-Naben und Mini-Spokecards für die Stadträder, es hört nicht auf.

00: Prolog Rotterdam, 8,9 km

Man gestatte mir einen kurzen Ausbruch der Freude: Fabiaaaaan!!!!! So, jetzt geht’s wieder. Also, diese Tour ist nun offiziell gestartet, und der große Favorit für den Prolog hat, zwar unrasiert, aber dafür im golddekorierten Weltmeister- und Olympiasiegerhelm auf Ansage gewonnen. 53,4 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit sind auch nix zum Anspucken. Ich glaube, er hät das auch mit nicht-umgedrehter Rückennummer geschafft (die 13 wird traditionellerweise verkehrt getragen). Jetzt wird zwar noch sein Rad auf eventuelle Motorspuren durchleuchtet (die UCI hat sich ja ein paar Röntgenkastln gekauft zu diesem Behufe), aber derweil hat er mal das gelbe Trikot.

01. Etappe: Rotterdam - Brüssel, 223,5 km

Petacchi seit 7 Jahren wieder einmal Etappensieger, aber was für ein Finale! Naja, 1. Etappe hätten wir also auch. Täte man die letzten paar Minuten wegschneiden, wär’s ja eher höhepunktlos gewesen - da freut man sich schon, dass Ivan Basso Fussbekleidungsprobleme hatte und der Team-Mechaniker Schuhmacher spielten musste. Schuh aus, beim Fenster rein, repariert zurück und wieder anziehen, bei 40, 50 km/h. Nicht einmal die initiale Attacke war spektakulär. Der Chef wachelt mit der Fahne, 3 Leute ziehen los, und schon steht die erste Fluchtgruppe dieser Tour.

02. Etappe: Brüssel - Spa, 201 km

Man soll ja nicht so mit Superlativen um sich werfen, weil schlimmer geht immer. Aber diese Etappe war doch ärgstens. Dabei hatte ich sie gegen 3 schon abgeschrieben, Bergankunft am Kitzbühler Horn angeschaut (zwei Ex-CERA-Doper frisch aus der Sperre haben gewonnen, naja) und mir gar keine so große Sorgen gemacht, dass ich den Restnachmittag ausnahmsweise mal nicht in der Nähe eines Fernsehkastls verbringen würde. Und dann saß ich im Zug, Funklöcher verfluchend, verzweifelt den Reload-Button behämmernd, heulend und zähneknirschend mit dem Handy in der Hand da.

03. Etappe Pflasterpreview

In einem frei erfundenen Interview erklären drei Favoriten, die nicht extra mit meinem Privatjet eingeflogen wurden, ihre Strategien. Alberto macht den Anfang: “Die beiden Trainingstage im April mit Peter van Petegem waren nur der Abschluss einer langfristigen Strategie. Angefangen hat alles schon 2008, als ich mich 3 Monate mit dem ältesten noch lebenden Kopfsteinpflasterleger Europas verbrachte. Nur, wenn du die Geschichte jedes einzelnen Pflastersteins kennenlernst, von seiner Geburt im Steinbruch über den delikaten Prozess der Behauung bis hin zur sorgfältigen Platzierung im Gesamtensemble der Straße, kannst du sie verstehen.

03. Etappe: Wanze - Arenberg Porte du Hainaut, 213 km

Jetzt wird es wieder einmal Zeit für eine stinknormale Etappe, meine Nerven halten das nimmer aus. Fabian wieder in Gelb! Wochen-, wenn nicht monatelang hat man schon geredet von der 3. Etappe. Alle waren nervös, Contador holte Peter van Petegem als Trainer aus dem Ruhestand, es gab Besichtigungen, Aufregung, Erwartung und Spekulation massenhaft. Am Ende war’s alles, was man sich erwartet hat, leider auch ein wenig von dem, was befürchtet wurde.

04. Etappe: Cambrai - Reims, 153,5 km

Endlich einmal nicht viel los, und Petacchi kann auch einen Massensprint gewinnen. Eine dringend notwendige Baldrian-Etappe war das heute. Wenn es in dem Takt weitergegangen wäre, nicht auszudenken, Herzkasperl in meinem zarten Alter, ist doch viel zu früh. Man kann’s in aller Kürze rekapitulieren: Nur 153 km waren’s heute, Ausreissergruppe geht, an der kurzen Leine gehalten von Saxobank und hauptsächlich Radioshack, wird 3 km vorm Ziel von den Sprinterzügen überrannt, dann Massensprint.

06. Etappe: Montargis - Gueugnon, 227,5 km

Cavendish macht das Dutzend voll 15 Jahre war Erik Zabel Profi, 12 Etappen hat er gewonnen. Mark Cavendish holt ihn bei seiner 3. Tour-Teilnahme ein. Die Gegenüberstellung kommt nicht von irgendwo, weil Erik Zabel ist ja sowas wie sein persönlicher Trainer. Ich kann mir aber kein ungleicheres Paar vorstellen - so wie der eine ruhig, bescheiden und generell sympathisch wirkt, so von sich überzeugt, arrogant und fast ein bissi streitsüchtig scheint der andre.

07. Etappe: Tournus - Station des Rousses, 165,5 km

Sylvain Chavanel holt sich das Gelbe von einem flachen Fabian zurück. Die einhellige Meinung zur gestrigen 7. Etappe, frei paraphrasiert: Oida, ur org. Es war wieder einmal sehr heiss, die armen Wasserträger schon den 3. Tag vollbeschäftigt, und was eigentlich eine Übergangsetappe sein sollte brach so manches Rennradler-Bein. Vor allem der Anstieg zur Station des Rousses hatte es doch in sich. Großer Verlierer: Fabian. Man könnte tausend taktische Gründe angeben, Kraft sparen, Verantwortung abgeben, bla, et cetera, aber da war ganz einfach nix da zum Geben, wie er auch selbst verkündet hat.

08. Etappe: Station des Rousses - Morzine-Avoriaz, 189 km

Ausscheidungsrennen nach Morzine Andy Schleck gewinnt, Lance Armstrong verliert. Wien. Wie eben bekanntgegeben wurde, ist der (murmel)jährige Radblogger Heinz E. nach einer Überdosis Extase-Hormone ins Krankenhaus eingeliefert worden. “Es ist unglaublich”, so der behandelnde Arzt, “gleich 3 unserer Begeisterungsmessgeräte sind einfach explodiert, so jenseits aller bekannten Skalen waren die Werte. Kurzfristig mussten wir ihn in ein künstliches Koma versetzen, um die Gesundheit unseres Personals zu bewahren, das die ständigen “Jo leck, da Schleck!

09. Etappe: Morzine-Avoriaz - Saint-Jean-de-Maurienne, 204,5 km

Das sind die langweiligen Alpen, wo heuer gar nix passiert: Sanchez Held der Herzen, Evans aus dem Rennen, jetzt heisst es Andy oder Alberto. 9 Etappen ist sie jetzt alt, die Tour 2010, aber man kann es schon jetzt sagen: Keiner kommt auch nur in die Nähe von Contador oder Schleck. Die zwei sind eine Klasse für sich, und sollte weder Desaster noch Dopingtest zuschlagen, oder sich herausstellen, dass die zwei dämonische Abgesandte der Hölle sind, die kurz vorm Ziel in einer Schwefelwolke wieder hinabfahren, dann sind Platz 1 und 2 vergeben.

14. Etappe: Revel - Ax 3 Domaines, 184,5 km

Wenn sich zwei streiten… …freuen sich die anderen. Schleck und Contador spielen Trackstand, derweil gewinnt der Ausreisser die Etappe und 2 Konkurrenten Zeit. Wie zwei Frischverliebte, sie haben nur Augen füreinander, und wenn sie beisammen sind, bleibt die Zeit stehen und sie vergessen die Welt rundherum. Sie können auch nicht aufhören, voneinander zu reden in ihren Interviews und gar kein anderer spielt auch nur irgendeine Rolle. Wenn das nur gutgeht! Denn während Andy und Alberto mal kurz auf einem Steilstück mit 10 % stehenblieben, reichte es Menchov and Sanchez wohl mit den Spielchen und sie hätten fast einen Coup gelandet.

15. Etappe: Pamiers - Bagnères-de-Luchon, 187,5 km

Contador gegen Andys Kette: 1:0 Schleck verliert das Gelbe Trikot wegen Defekt, Thomas Voeckler macht den 5. französischen Etappensieg. Es gibt im Radsport so ein paar ungeschriebene Regeln. Ich erinnere mich an einen Juli vor vielen Jahren, als ich krank daheim darbte und nix zur Unterhaltung hatte ausser ein paar Leute in seltsamer Kleidung, die versuchten, schneller als andere einen Berg hinaufzuradeln. Damals interessierte mich das nicht sonderlich, aber dann passierte folgendes: Einer, er hieß Armstrong, matchte sich schon seit Tagen mit Ullrich.

16. Etappe: Bagnères-de-Luchon - Pau, 199,5 km

Armstrongs letzter Tag in der Sonne? Klassement-Kampf auf Eis bis zum Donnerstag, derweil gibt Pierrick “Die Nase” Fedrigo keinen Veteranenbonus und gewinnt die Etappe. Die ersten zwei Stunden heute waren Radrennen vom Feinsten. Da wurde sich nix geschenkt - vom Start gleich auf den ersten Berg, die ersten Attacken und gleich eine Gruppe mit fetten Favoriten. Da wackelten ein paar gute Platzierungen, und deswegen wurde nachgeheizt, dass der Asphalt glühte. Massenhaft fielen sie hinten raus, neben den üblichen Verdächtigen: Basso & Gesink.

17. Etappe: Pau - Col du Tourmalet, 174 km

Andy und Alberto: Aus Duell wurde Duett Contador, auf bestem Weg zum dritten Toursieg, hat jetzt auch Fair-Play für sich entdeckt. Trostpreis für Schleck: Etappe gewonnen. Spekuliert und diskutiert wurde viel, auch ich verbrachte schlaflose Nächte, Szenarien wälzend, Statistiken schmökernd, Präzedenzfälle studierend, hoffend, fiebernd, nervös und angespannt, aber wahr geworden ist die eigentlich langweiligste aller Möglichkeiten: Sie sind gleich gut. Am Berg. Andy und Alberto, die nächste der grossen Duellpaarungen im Radsport?