Bicycle Courier Escort Service

Was macht man denn, wenn man ein Blog so lang alleingelassen hat, bis auch der letzte Leser traurig von dannen gezogen ist? Halbherzige Entschuldigungen erfinden! Zum Beispiel: Das Leben, das zache, das oede, hielt die Musen fern, und ungekuesst schreibt es sich nur halb so gut. Weil ohne zuendende Idee bleibt nur der Sinn und Zweck, und sinnvolle und zweckdienliche Artikel zum Thema Radfahren gibt es mittlerweile im Stundentakt allerblogs und sogar in den Hauptstrom-Medien. Aber noch etwas kann er machen, der uninspirierte Blogger: Eine Reportage! Voll hinein in die Materie und ohne Ruecksicht auf Leib und Leben knallhart von der vordersten Front berichten, wie es seit Kisch und Wallraff keiner mehr gemacht hat! Und so, man kann es sich nicht vorstellen, war ich uebergluecklich, als ich vom Programm fuer Embedded Journalists erfuhr, das der coolste Radkurierservice von Wien angeboten hatte.

Das dreistufige Bewerbungsverfahren war kein Problem, dank meiner langjaehrigen Raderfahrung, meiner umfangreichen Werkmappe und sexuellen Gefaelligkeiten fuer die Kommission. Dann noch das einmonatige Trainingslager (hauptsaechlich ging es darum, angemessen coole Radkleidung einzukaufen und die Kuriertasche richtig ueber die Schulter zu schwingen), insgesamt 2000 Seiten Haftungsausschlussvertragswerke unterschreiben und dann die zweistuendige Abschlusspruefung ueber korrekte Beschimpfung von Taxlern und anderem Gewuerm. Schliesslich war es soweit: Freitag, 13:30, durfte ich, ganz ohne Stuetzraeder und Airbags, Radkurier M. bei seiner Schicht begleiten.

Was sagte die Sonne? Sie lachte und meinte: Fahr! Heute wirst du nicht nass. Und der Wind, er blies aus vollen Pausbacken durch die Gassen. Ganz unaufgeregt-objektiv distanziert stand ich vorm Buero zur ausgemachten Uhrzeit, ausgestattet mit Singlespeed-Rad, Radhose schamhaft unter der kurzen Hose versteckt, Oberbekleidung Marke Swobo, das coolste halt, was San Francisco zum Thema Radmode zu bieten hat. Da kam er auch schon, der Herr Kurier, der Held der Strassen, der letzte urbane Abenteurer, die Verkoerperung der Geschwindigkeit, der Anarchie und sowieso ueberhaupt von allem, was uns Buerohengste und -stuten so lahm macht. In die Koenigseggstrasse sollte es gehen, dort was aufklauben und beim P&C in der Mariahilfer wieder abladen. Hoerte sich gut an. 5 Minuten spaeter, erster Verstoss gegen die StVO (gegen die Einbahn). Packerl einsammeln, ein paar Meter fahren und hui, schon wusste ich, warum ich so eingehend geprueft wurde: Ein Taxler goutierte meine Rechtsvorbeifahrung nicht (zu diesem Zeitpunkt StVO-Verstoss # 32, wenn ich richtig mitgezaehlt hatte). Er goutierte es sogar so nicht, dass er mit seinen Fahrgaesten neben mir her fuhr und aus dem offenen Fenster rauskeppelte. Mit uns abbog und weiterkeppelte und hupte. Zum Glueck konnte ich aus dem vollen Repertoire schoepfen und neben Trottel, Saugesicht und Pudel di net auf, Hustinettenbaer auch noch schaerfere Toene ins Fenster reinschreien.

Erste Fuhre erledigt, und ich dachte, das wuerde jetzt so weitergehen. Aber nein, Burggasse zum Aufklauben und dann gefuehlte 60 km und 2000 Hoehenmeter nach Favoriten zur Anker-Fabrik. Angefangen hat es gut: Die Heroes der Zweierlinie und des Getreidemarkts! Wie die geoelten Kugelblitze flitzten wir bis zum Schwarzenbergplatz, zwischen Autos und Radlern und Bussen und Lastwagen und allen durch, aber dann geht’s ja bekanntlich bergauf. Schnauf. Schnauf. Aufgrund des Blackouts weiss ich jetzt nimmer so genau, was dann passierte, auf jeden Fall waren wir auf einmal bei der nicht uninteressanten Ankerfabrik, wenn man auf Industriearchitektur steht. Leider konnte ich nicht viel fotografieren, weil auf Rad von M. aufpassen (der es sehr fein fand, dass er nicht staendig ab- und aufsperren musste) und generell eher ueber Kreuz schauend mit sauerstoffleerem Gehirn. Nach der Ankerfabrik: Sense, nischt. Per Handy: Hallo, M., bin frei beim Anker. Rueckmeldung: Warten beim Suedbahnhof. Wir eher Belvedere, weil so ein anarchischer Radkurierheld laesst sich ja keine Vorschriften machen. Dort dachte ich mir: Eigentlich eh nicht schlecht, so ein Kurierleben. In der Sonne rumschlunzen, Touristen anschauen. Dann reden wir ueber SVA und Aerztekammer und eigentlich doch eher ein Schas, das Radkurierleben. Weil einmal praktischer Arzt, 2 Stunden Lohn gaga.

Aber schliesslich: Bimmel, Fuhre. Auf zum Tonstudiokollektiv Marx in der Arbeitergasse. Die sind so cool dort, da gibt’s sogar einen eigenen Haken an der Mauer neben der Tuer fuer Radkuriere, wo man Radl ansperren kann. Einladen, weiter in den Zweiten, aber halt! Kurz noch eine andere Fuhre dazwischen, wieder Graphikdesignerstudioscheiss in einem Innenhofbuero im 5. abholen und an der Schoenbrunnerstrasse bei Filmproduktionsstudioscheiss wieder rauswerfen. Und dann auf zum ATV: Auf der Wienzeile: 1000 Autos parken mit laufendem Motor herum, das einzige, was sich bewegt: Ein Radkurier und ein verzweifelt strampelnder Escortservicemann, der probiert, halbwegs mitzukommen. Am Ring dann: Palaestinenserprotest, freie Fahrt auf der Fahrbahn fuer uns bis zur Absperrung! Dann uebern Kanal, und waehrend ich verschwitzt schnaufend vorm ATV warte, kommt grad so eine 1,85m-Frau mit Haarschnitt fuer 300 Euro raus. Oh Glamour!

Dann noch Herminengasse, ebenfalls 2., hier fuehre ich durch die Einbahnen und verwinkelten Wege, ganz stolz auch was beitragen zu koennen (ob die eingebetteten Irakjournalisten auch ab und zu eine Granate in Menschenmengen werfen, nur damit sie nicht immer nur dumm rumstehen, waehrend die richtigen Maenner ihre Arbeit machen?). Dann wieder: Tothose. Laut M.: Atypischer Tag. Weil normalerweise hast du da zwei, drei Ladungen gleichzeitig drin, schupfst hoffentlich die richtige raus am richtigen Ort und kannst net mal aufs Klo gehen. Und dann noch die ORF-Fahrten zum Kueniglberg, und dann noch die furchtbaren Bezirke 23, 22 und 21. Aber halt Zwickltag und Freitag nachmittag, da ist ab 3, 4 immer weniger.

Wir schluerfen ein Kaffeetscherl am Karmelitermarkt und radeln am Donaukanal auf und ab, aber dann: Bimmel! Und ab geht’s. Mir brechen fast die Beine, weil ganz schlimm: Rumsitzen, Muskeln kuehlen aus, man raucht die eine oder andere, und dann auf einmal von 0 auf 180 losrasen, dass die Kette kracht. Durch den 1., links und rechts vorbei an Touristen, Taxis und anderen Trotteln, durch den 9., da geht’s schon hinauf, und dann, urpeinlich, muss ich das Hinterrad vom M. davonlassen und er schafft wegen mir Wuerstel eine Ampelphase nicht. Aber dann sind wir eh im 17., beim Dorfilm, M. laedt ein, ich steh draussen herum und warte darauf, dass ich mir wieder vorstellen kann, wie man so schwierige Aufgaben wie 1 + 1 zusammenzaehlen irgendwie angehen koennte.

Auf zur Mariahilferstrasse, abladen und dann wieder Downtime, diesmal ins Buero beordert. Dort ist auch nicht viel los, aber W. kommt vorbei, weil er unsere Raeder draussen gesehen hat und das nutze ich als Ausrede, um meine Schicht um 17:00 zu beenden. Nicht ohne, so ein Radkuriertag! Auch wenn’s nicht einmal ein halber war, aber meine Haxen taten weh, und ein Essen oder zwei waren auch schon dringend notwendig.

Jetzt waer Zeit fuer das Gedankenvolle Fazit, fuer Lehren, die der Schreibende gezogen hat, fuer Einsichten, die Leserlebenswelten fuer immer veraendern. Aber nein! Hier nur kurz: Erstens: Fuer das bisserl Stundenlohngeld muss man ordentlich arbeiten. So arg riskant fand ich es nicht - man tut halt nicht immer stehenbleiben wenn rot, aber jetzt auch nicht New-York-Style in den Querverkehr stuermen. Zahlt sich auch net aus, aber staendig Stehenbleiben-Weiterfahren, das zehrt halt doch ordentlich an den Wadeln, also wird halt einfach ueberquert, wenn nix kommt. Die Autofahrers fand ich eigentlich nicht so arg, sogar sehr geduldig und unaufgeregt. Ein paar Mal musste ich halt hinterm Martin herhecheln, wo es sich bei mir halt schon etwas knapper ausging als bei ihm, aber bis auf den einen Taxler, kein Hup, kein Murr, ein wenig bremsen, dann konnten sie ja eh wieder normal weiterkurven.

Aber zweitens: Wie zahlt sich das aus? M. kriegt einen - zugegebenermassen eh nicht fuerstlichen - Stundenlohn und hat in 4.5 Stunden 7 Fuhren gemacht. Zu 5, 6 Euro pro Stueck. Ohne die Ton-Film-Graphik-Leute waer gar nix mehr los, und selbst da hab ich den Verdacht, dass die vieles schon per Internetz machen koennten, es sich halt aber noch so gehoert, dass man einen Radkurier losschickt (wirkt auch viel wichtiger und ist viel stilvoller als ein FTP-Upload).

Und drittens: Es macht am Abend noch ganz schoen Aua, so ein Radkuriertag. Und wenn nicht gerade die Sonne lacht, sondern man im Winter im fahlen Licht der Strassenlampen bei Regen, Nebel und verspaeteten Pendlern um 8 Uhr frueh durch die Stadt heizen muss fuer kaum ein Geld, dann ist’s mit Lustig auch nicht so viel.

Soda, das sind jetzt eh schon viel zu viele Woerter fuer so ein bissi Erlebnis. Aber spassig war’s, danke M.!

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