Doping (2008)

Ich muss es wirklich einmal sagen: Jetzt interessiert es mich auch bald nimmer.

Ich schaue ja eigentlich recht gern anderen Leuten beim Radlfahren zu, fiebere bei Attacken und Konterattacken auf den Galibier mit, rege mich über Windschattenfahrer auf (Hust, Cadel, hust), freue mich über mutige Solosiege und staune in Ehrfurcht vor den bei der Zieleinfahrt eingeblendeten Durchschnittsgeschwindigkeiten. Bei Giro, Tour und Vuelta ist meistens irgendwo auf meinem Büro-Bildschirm ein kleines Fensterchen, wo bunte Leute strampeln, und Jahr für Jahr musste ich mich gegen die Skepsis der Kollegen wehren. Wetterpanorma spannender, Medikamententransporter, etc. etc. Bis heuer auf einmal jeder und sein Hund Tour geschaut hat. Natürlich freute ich mich über die Aufmerksamkeit, und durfte auch zum ersten Mal in meinem Leben länglich über die Basics des Profiradsports referieren, ohne mit rüden Themenwechseln konfrontiert zu werden oder gar auf einmal allein dazustehen.

Aber jetzt ist alles wieder anders. Meine Güte, ist die Menschheit gehässig. Nicht nur in den Foren brodelte der Volkszorn, als selbsternannter Radsportexperte bekam ich es auch persönlich von links und rechts.

Gut, die Aufregung hat sich etwas gelegt, Zeit für eine Zusammenfassung der Debatte. Da gibt’s die Spielverderber, die meinen: Radsport mausetot, lassen wir’s gleich, oder zumindest für ein paar Jährchen. Die Bestrafer: Betrüger, lebenslänglich sperren, Häfn zu gut. Die Sadisten: Lasset sie dopen, bei 3 Herzinfarkten pro Bergetappe ist wenigstens was los. Die Versteher: Tour de France auf 2 Tage mit 10 km-Etappen verkürzen, als Bergwertung dient eine Autobahnüberführung. Die Blockwarte: Kontrollieren, kontrollieren, kontrollieren.

Irgendwie bin ich nicht so zuversichtlich, dass das viel bringt. Kontrolliert wird jetzt schon wie Sau, ganze Teams werden zur besten Gestapo-Zeit um 4 in der Früh aus dem Bett geworfen und müssen bluten bzw. pinkeln. Aber Tests hinken den Dopingmethoden systembedingt hinterher. Bei der Leichtathletik werfen Sprinter genauso Sachen ein wie die Marathonläufer, warum sollte das ausgerechnet bei den Radlern anders sein. Höhere Strafen, da krieg ich liberaler Gutmensch ja schon vorsorglich einen Ausschlag. Und als begeisterter Hobby-Spieltheoretiker juckt es mich noch mehr, aber diesmal unter den Fingernägeln, weil ich Lust auf längliches Labern kriege. Kurz: Höhere Strafen halten sicher niemanden ab, solang er davon ausgeht, dass alle anderen dopen, die Pulverln und Spritzerln gut wirken und (vor allem) er nicht damit rechnet, erwischt zu werden. Besser, alles zu riskieren, als von vornherein keine Chance zu haben. Dopingfreigabe führt zu Nachwuchsproblemen: Wer würde schon gern sein Kind zum chemisch mutierten Monster werden lassen?

Zu den Spielverderbern: Der Radsport ist nicht toter als er es immer schon war. Koks und Schnaps, Amphetamine, Steroide, EPO, Eigenblut, am besten alles zusammen, so war’s, so ist’s. Die Testerei hat die allerschlimmsten Auswüchse meistens verhindert und etwas hinter den Szenen gehalten. Das Publikum bekommt seine Helden, ein paar gehen drauf, aber hätten’s was g’scheites gelernt. Wer erwischt wurde, der war zu blöd, hat aber das Maul gehalten und durfte in 2 Jahren eh wieder mitfahren. Es hat sich aber etwas grundsätzlich geändert: Der öffentliche Diskurs darüber ist ausgeufert und dem Radsport wurde die moralische Verpflichtung auferlegt, sich zu säubern. Was in anderen Sportarten fast als Kavaliersdelikt durchgeht und höchstens für eine Randnotiz sorgt, ist hier Schlagzeile, aber das ist halt so und kein Grund, nix zu tun.

Nur wie, das weiss ich auch nicht. Tatsache ist: Besser wird’s auf absehbare Zeit nicht. Die “Neue Generation” von jungen Radfahrern, die nicht bis zum Hals im Sumpf steckt, hat sich jedenfalls als Illusion entpuppt. Sie predigen zwar vom hohen Moralpferd Wasser herunter, aber sind “in Extremsituationen” dann “auch nur Menschen”. Das ist noch unsympathischer als die arroganten Altmeister, die Doping als Naturrecht ansehen, wo sich gefälligst keiner einzumischen hat. Im Moment wird’s also nicht besser, sondern eher schlechter, jetzt rein vom Sex Appeal her gesehen. Mir bleibt derweil nur, das Paket im Ganzen zu kaufen. Der Etappensieg ist erst der Auftakt zum eigentlich spannenden Teil: Wer hat was genommen und hat sich patschert genug dabei angestellt? Wird er weinen beim Geständnis? Wird irgendwer die lustigste Ausrede mit dem ungeborenen Zwilling toppen können? Aber ich kann nicht umhin, mich nach den guten alten Zeiten zurückzusehnen, wo man den heroische Soloritt noch unbeschwert geniessen konnte. Die Show ist irgendwie langweiliger geworden, und daran sind sie beide schuld, Radsport und Moralapostel.

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