The Slovakia Experiment

Keine Ahnung mehr, wer das eigentlich aufgebracht hat. Er wird jedenfalls von der Liste der potentiellen Paten fürs hypothetische Kind gestrichen.

Weil guter Einfluss ist das keiner! Welcher normale Mensch kommt denn auf die Idee, am 10. Jänner von Wien nach Bratislava zu radeln? In Form eines Rennens? Mit dem Eingangrad? Das ginge ja noch. Man könnte sich aufs Hirn greifen und sagen: Ah eh, mhm, keiner geht hin und die Welt hat auch nix verpasst. Aber wer will dann unbedingt mitfahren und wer erpresst dann wochenlang seine Freunde emotional, bis sie sich endlich auch anmelden? Die betreffende Person wird jedenfalls an die Peripherie des erweiterten Freundeskreises relegiert, soviel ist fix. Gell? Brauchst mich nimmer besuchen kommen, Herr M.!

Sei es wie es sei, es kickten dann zwei Reflexe der menschlichen Psyche als Selbstschutz: 1. So schlimm kann das eigentlich net sein. Und 2.: Saugeil, der Traum des Ausrüstungsfanatikers! Von der richtigen Helm/Haubenkombination über die Wahl der Spezialfaser für die lange Unterhose bis hinunter zur alubeschichteten Schuheinlage kann man tüfteln, diskutieren und Geld ausgeben. Ich recherchierte in den Memoiren von Scott und Amundsen, las “Die Schrecken des Eises und der Finsternis”, härtete mich ab, indem ich die Füße jeden Tag eine Stunde in das Gefrierfach steckte und schlief draußen im aufblasbaren und gefüllten Kinderbad.

Der Termin rückte näher und die Wettervorhersage war vielversprechend: -5 oder so, dafür Sonnenschein und, Oh nein, Katastrophe, Ostwind. Also nicht mal Segel aufspannen und treiben lassen, sondern wirklich harter Kampf gegen die Elemente! Die Teilnahme erfolgte in Zweierteams, ich und Stefan B. waren die Piranha Brothers, er Doug, ich Dinsdale, so hart wollten wir sein. Reich & Schön waren dann der Anstifter und noch ein Stefan, der überhaupt noch nie mehr als 5 km am Stück radgefahren ist, glaube ich. Aber die Tage vergingen, wir hüstelten uns dezent was vor, schneuzten uns und redeten uns ein, naja, ein bisserl krank und dann ist das nicht sinnvoll, und das wär deppert mitzufahren und… Aber die Organisation in Teams hat den Nachteil, dass keiner den anderen hängen lassen will und, wer hätte es gedacht, am Samstag um 1/2 10 standen wir wirklich zu Viert am Stephansplatz, gut eingepackt, fröhlich und tatendurstig.

Zusammen mit 50 anderen! So viele depperte gibt’s! Es ist erstaunlich, was da alles aus den Löchern gekrochen kam. Neben Edelfixies und Eigenbausinglespeeds waren da ein paar Mountainbiker und Rennradler, aber auch: Waffenräder, Puch-Damenräder, und Respekt!, Tallbikes (das sind 2 aufeinandergeschweißte Rahmen). Jedes Team bekam einen Umschlag mit 4 Aufgaben, eine Beschreibung des Donauradwegs (obwohl die Streckenwahl dem Team oblag), ein paar Goodies, und dann ging es schon los. Zuerst zum Theseustempel, dann Stempeln beim Karlsplatz in der U-Bahn und die nächste Station war dann schon Orth an der Donau.

Wir versuchten, es gemütlich angehen zu lassen, verschwanzelten uns ein wenig auf dem Weg zur Donauinsel, fanden den Donauradweg und sortierten uns ein. Stefans Jagdinstinkt sprang alle 500 m an, wenn wir vorn jemand sahen, und schon mussten wir nachwetzen wie die Bösen. Mit der Konsequenz, dass wir (“Na, nur mitfahren, wenn ma ankommen, ist das schon Wöht!”) gar nicht so schlecht lagen, als wir in Orth eintrudelten und die Säulen irgendeines Mariendenkmals zählen mussten.

Verluste bis dahin: Eine Hose vom Zahnkranz gefressen, eine andere durch eine Ausrutschpartie etwas ramponiert, aber alle 4 waren wir ungefroren, gut drauf und nix hin, was nicht durch ein paar Tassen Tee aus der Thermoskanne, eine etwas harte Banane und ein Zigaretterl oder zwei wieder gerichtet werden konnte. Also volle Motivation beim Weiterfahren!

Ahem. Ein wenig langsamer, bitte? Ok, das sollte gehen. Ich war auf einmal ziemlich müde. Und es kam der ödeste Radweg der Welt: (Fast) schnürlgrad durch den Auwald dahin. Null Abwechslung. Noch dazu: ein paar Zentimeter Schnee auf Schotter. Und wir alle 23mm-Dackelschneiderreifen aufgezogen. Bis Hainburg ging das so dahin. Die Beinschwere wurde immer schlimmer, dazu kamen das penetrante Kältegefühl in den Zehen und die fehlende Abwechslung bei der Trittfrequenz weil keine Schaltung. In Hainburg, gefühlte 27 Stunden später, erbat ich mir eine Pause. Was vielleicht nicht so gescheit war, weil dort war es noch viel kälter und die Schweißschicht hatte sich schön durch die Kleidung gefressen.

Aber nur noch ein paar Kilometer - das pack’ ma! Zuerst wieder auf den Radweg, der ging mit viel Umweg durch Tiefschnee und wurde fortan ignoriert. Auf der Bundesstraße gab’s zwar viel Verkehr, aber man kam wenigstens halbwegs vorwärts. Irgendwann hatte ich sagenhafte 4 Krämpfe gleichzeitig (beide Unter- und Oberschenkel) und wir gingen ein Stück zu Fuß. Irgendwann kam die Grenze. Irgendwann kam Bratislava. Ich instruierte mein GPS-Kastel, uns zum Bahnhof zu geleiten. Wir überquerten eine sehr orge Brücke und fuhren über vierspurige Strassen. Bogen in die Bahnhofstraße ab, und da konnte ich echt nimmer. Krämpfe, kalt und sowieso katastrophal. Die letzten 100 Meter habe ich geschoben und uns so zwei Plätze gekostet - leider nur 11. nach ca. 4,5 Stunden und 80 km!

Wie auch immer, die Bahnhofshalle war gut gefüllt mit etwas bleichen und zittrigen Radlern, aber die Stimmung war erstaunlich gut. Es gab Tee, es gab die Verlesung der 4. Aufgabe (Gedicht aufsagen mit dem Teamnamen drin), und es gab einen Zug heimwärts. Ich hatte mir das echt nett vorgestellt, ein wenig noch durch die Stadt streifen und den Bauch vollschlagen (Hunger!!!) und ein paar Biere, aber mir war so elend, dass ich mich nur in den nächsten REX einquartieren wollte und dort ein wenig zittern, bis wir in Wien waren.

Was kann man noch sagen? 1. Respekt vor den beiden Anfänger-Stefans, die das um einiges besser überstanden haben als ich. Weil 2. erstaunlich, wie anstrengend das war! Nach den 80 Flachkilometern war ich fertiger als nach 150 km mit 2 Bergen. Und 3., sogar die Tallbiker sind angekommen. Nach mehr als 6 Stunden, wenn ich mich recht erinnere. Wahnsinn! 4., kann man noch sagen, es hat trotzdem Spaß gemacht. Und ich finde, man sollte viel mehr solche Sachen abseits des üblichen Radmarathon/Kriterien-Gedöns veranstalten. Weniger Ehrgeiz, mehr Lustig (und ein wenig Weich in der Birne), so gehört es sich!

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