Beziehungen

Mittlerweile ist die Radsucht in meinem Bekanntenkreis schon so prävalent, dass ich repräsentative Beziehungsratschläge abgeben kann.

Zum Glück ist es ja keine Sünde, mehr als ein Rad zu besitzen. Ich meine, man wird schon komisch angeschaut, wenn man in geselliger Runde zugeben muss, dass man mittlerweile 6 (in Worten: sechs) Räder besitzt. Aber das soziale Stigma, das dem anhaftet, ist in unserem Kulturkreis bei weitem nicht so groß wie wenn man sich neben der Hauptfrau noch 5 Konkubinen hält. Es ist auch weit billiger, aber irgendwann ächzt dann doch das Bankkonto und man will ja noch andere Sachen machen, Essen fällt einem da zum Beispiel ein. Also gilt es, die Beziehung zu den vorhandenen Rädern zu hegen und zu pflegen, auf dass sie nicht langweilig werden und der nächste Gang ins Geschäft bzw. auf Ebay ein wenig verzögert wird.

Kritisch ist da vor allem das Hauptrad. Brav verrichtet es Tag für Tag seine Arbeit, bringt einen zur Arbeit, zum Radgeschäft, nach Hause und, äh, sonst eigentlich nirgendwo hin, weil Leben hat man keins. Viel zu schnell verliert man da den Blick für das Besondere, Charmante, Einzigartige, für all die Gründe, wegen derer man sich in das Rad angeschafft damals. Rauf in der Früh, runter am Abend, vielleicht darf es neben dem Fernseher stehen und ab und zu ein Tätschler auf den Sattel, wenn es traurig dreinschaut. Dabei hätte es sich so viel mehr verdient! Warum nicht ab und zu ein kleines Geschenk, neue Reifen in anderer Farbe? Das räudige Lenkerband neu wickeln? Einmal gemeinsam ins Grüne fahren? Oder gar, hier machen es uns die Hipsters in anderen Metropolen gut vor, ein kleines Accessoire mit Kabelbinder vom Sattel baumeln lassen? Das bringt frischen Wind in die Beziehung! Es muss ja nicht gleich ein Quietschentchen sein, mit dem ich jetzt mein Vicini beschenkt habe.

Nicht vergessen darf man auch das Rennrad. Normalerweise wird es gut umsorgt, hat einen eigenen Spezialplatz, blitzblank polierte Schaltung und bekommt nur das teuerste Kettenöl. Man rasiert sich die Beine, steht stundenlang vorm Spiegel, bis man endlich das richtige Trikot anhat und fährt stolz aus. Statt zehnminütiger Quickies mit hastig in die Socken gestecktem Hosenbein wird die Rennradausfahrt richtiggehend zelebriert und der Schweiß fließt in Strömen! Kein Wunder, dass das Alltagsrad eifersüchtig wird, aber auch die Beziehung zum Rennrad kann leiden: Einerseits ist man konstantem sozialen Druck ausgesetzt, weil jeder behauptet, er könne viel länger und schneller mit seinem Rad, andererseits setzt auch hier bald Langeweile ein! Und es muss ja nicht gleich ein neuer Carbon-Laufradsatz um mehrere Monatsgehälter sein. Warum nicht einfach einmal gemeinsam verreisen? In neuer Umgebung, auf neuen Passstraßen entdeckt man sich gegenseitig neu und hat vielleicht sogar eine Ausrede, viel Geld für eine Kompaktkurbel auszugeben.

Aber auch die Wartungs- und Umbauarbeiten an den Rädern verkommen viel zu schnell zu öder Routine. Am Sonntagnachmittag gach auf den Ständer, schraub, schraub, schraub, pffsssst - Öl sprühen, Hände waschen, fertig. Schnarch. Kein Wunder, dass man die Lust verliert! Irgendwann hat man alle Teile einmal zerlegt und wieder zusammengesetzt, und man glaubt, es gibt nichts neues mehr, man kennt alles. Immer neue Herausforderungen sucht man, schleppten den schlimmsten Schrott aus dubiosen Garagen und Dachböden ab, repariert dran rum und verkauft es wieder so schnell es geht. Und hat doch immer ein leeres Gefühl hinterher. Vielleicht doch wieder mehr aufs Vorspiel konzentrieren? Ein Glas Wein dazu trinken, schummriges Licht und stimmungsvolle Musik - die Reparatur so richtig zelebrieren? Neues Werkzeug verwenden? Oder vielleicht einfach mal das Rad fragen was es will? Und Erdbeeren und Schlagobers haben schon so manches Wunder bewirkt!

So, ich hoffe, ich habe hier meinen LeserInnen zu neuem, frischen Wind in der Beziehung zum Rad verholfen. Ich geh jetzt kurz kalt duschen.

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